Auslandserfahrung: Die junge Mona hatte viel Spaß in Schottland, sammelte aber auch eine Menge Lebenserfahrung.  

[Uslar/Edinbra] – Das Abi in der Tasche – und nun? Mona* wuchs in einem Albert-Schweitzer-Kinderdorf auf und lebte lange Zeit im Jugendwohnen, wurde dort immer selbstständiger. Denn im Albert-Schweitzer-Jugendwohnen probte Mona quasi für den „Ernstfall Leben“.

Wie in einer WG lebte sie dort eigenständig und selbstverantwortlich; aber für Probleme, Herausforderungen im Alltag und den Notfall war immer eine pädagogische Betreuung zugegen.

Eine wertvolle Lebenswegunterstützung
Junge Menschen ziehen ins Jugendwohnen, weil sie in diesem eine unterstützende und hilfreiche Station auf ihrem Weg zur vollen Selbstständigkeit erfahren. Volljährigkeit ist etwas Besonderes. Mit 20 Jahren hatte Mona ihr Abitur in der Tasche. Es ist etwas Bemerkenswertes, dass sie die Chance bekam, sich voll und ganz auf diesen weiterführenden Abschluss zu konzentrieren.
In der Jugendhilfe bedeutet der Schulabschluss oft auch einen Sprung ins kalte Wasser. Reguläre Hilfen laufen dann nämlich aus und von jetzt auf gleich sehen die jungen Menschen sich mit der harten Realität konfrontiert. Sie können nicht unbedingt auf familiäre Kontakte bauen, wie viele andere in ihrem Alter es tun. Auch Mona hätte sich einen sanften und vor allem freiwilligen Abnabelungsprozess gewünscht. Aber die junge Frau ist stark und fängt früh an für ihre Ziele zu kämpfen. Sie lebte schon mit 16 im Jugendwohnen, wollte früh auf möglichst eigenen Beinen stehen. Dort hat sie seither viel über das Leben gelernt. (Siehe auch Infokasten „Jugendhilfe und der Übergang in die Eigenständigkeit“)

Wenn schon kaltes Wasser, dann mit Kopfsprung!
Einmal Journalistin zu sein, das ist das Ziel der inzwischen 20-jährigen. Doch zunächst einmal musste sie sich Gedanken ums Geld verdienen machen, darum wie sie Möbel finanziert bekommt, wer ihr beim Umzug in eine neue Stadt zur Hand geht, wo sie überhaupt einen Studienplatz bekommen kann. „Es ist verdammt viel zu organisieren und beachten, wenn man plötzlich so ganz auf sich allein gestellt ist“ weiß die junge Frau. Sie wollte alles richtig machen und dachte sich, wenn schon ins kalte Wasser springen, dann gleich kopfüber.

Deshalb ging es mit dem Schritt in die Eigenständigkeit auch gleich ins Ausland. Mona wollte vor dem Studium nochmal etwas nicht Alltägliches erleben! Mit Careleaver Weltweit haben Mona und ihre Betreuerin eine Organisation gefunden, die es Jugendhilfekindern und Ehemaligen durch persönliche und finanzielle Unterstützung ermöglicht einen Auslandsaufenthalt zu realisieren. Ideen wie ein Jahr in Afrika oder Südamerika machte die Corona-Pandemie leider zunichte. Mona entschied sich daher für Schottland. In Camphill Scotland fand Mona eine gemeinnützige Organisation, welche in Schottland insbesondere behinderten Menschen ein erfülltes Leben bietet und sie intensiv dabei betreut. Ein Gemeinschaftsprojekt, das für Mona schließlich das Standbein für ihr Schottlandjahr werden sollte.

Der Ruf aus der Ferne
Soziale Arbeit und eine neue Kultur, aber von Anfang an Teil einer Gemeinschaft – soweit die festgebuchte Theorie. Im August 2020 stand Mona am Flughafen Berlin Tegel und hatte weiche Knie. Ob die Aufregung oder die Vorfreude größer waren, kann sie heute nicht mehr sagen. Aber der Aufbruch in das neue Abenteuer zog an ihr vorbei wie in einem Film. Als die Maschine mit ihr an Bord abhob und ihre 11.000 Höhenmeter erreichte, bemerkte Mona den feuchten Film auf ihren Wangen. Ihr kamen damals die Tränen, an einem persönlichen „Point of no Return“. „Es war der Moment, an dem ich wirklich realisierte, dass ich mal eben ein Jahr komplett weg bin“ beschreibt die damals noch 19-jährige den Moment zwischen Hoffen und Bangen, Vorfreude und Anspannung, Erwartung und Enttäuschung. Keine Spontanbesuche bei Freunden, kein schnelles Schwätzchen mit ihren Betreuern. In Schottland wartete ein neuer Abschnitt auf sie! Und der präsentierte sich noch als große Unbekannte.
Doch Corbenic – Monas neues Zuhause auf Zeit – präsentierte sich überwältigend. Die Natur beeindruckte Mona als erstes, aber dann beobachtete sie die Einheimischen. Bei 12 Grad Außentemperatur liefen diese in Sommerklamotten durch ihre Heimat. Ein einprägsames Erlebnis für die junge Frau aus Südniedersachsen, um in einer neuen Lebenswelt anzukommen. Angereichert wurden die Unterschiede zu ihrem alten Zuhause noch am selben Tag durch ein Zahlenschloss vor dem Kühlschrank und einem obligatorischen „may the meal be blessed“ vor jedem Essen.

Die Orientierungsphase ist hart
In den ersten Wochen bekommt Mona oft Heimweh. Sie fragt sich häufig, was ihre Freunde in Deutschland jetzt wohl so machen? Was überhaupt los war in dem Land ihrer Heimat; und wollte sie überhaupt ein Jahr in Lindisfarne – ihrer schottischen Wohngruppe – „festhängen“?
Es waren nicht gerade die günstigsten Umstände, dass Mona die erste von drei Freiwilligen war, die am Ort des Geschehens eintraf. Erst nach und nach vervollständigt sich die Co-Worker Gruppe, die schlussendlich aber ausschließlich aus anderen deutschen Mädels bestand.
In Telefonaten nach Hause und vielen intensiven Gesprächen mit ihren Mitfreiwilligen findet Mona den nötigen Anker, um weiterzumachen. Die gemeinsame Freizeit wird schnell für Gemeinschaftsaktivitäten verplant. Bei 15 Grad im Fluss zu baden, zu Fuß die Natur zu erkunden oder mit ganz viel Schoki-Vorrat einen Spieleabend zu organisieren: Auch außerhalb der Arbeit erlebt die 19-jährige in Schottland viel.
Die „Residents“, Menschen mit Behinderung, die sie zusammen mit den anderen Co-Workern auf dem Camphill-Gelände betreut, werden schnell zu vertrauten Menschen. Immer wieder versüßen sie ihr den Tag mit einer spontanen Umarmung, einem geschenkten Poster oder dem Aufsagen lustiger Filmzitate. Monas Geburtstag kommt schneller als gedacht und alles Heimweh ist verflogen. Im Gegenteil: Ihre Geburtstagswoche sollte eine Highlight-Woche in Schottland werden. Als Überraschung durfte sie einen Tag bei den Corbenic-Pferden verbringen. Und ein Gruppenausflug nach San Andrews zum Strand rundete die Erlebniswoche perfekt ab.

Eine Erfahrung, die auch fürs Leben lehrt
Doch trotzdem blieb da auch diese andere Seite des Abenteuers, denn Monas Auslandsaufenthalt fand in einem Jahr geprägt von einer nie gekannten Pandemie statt. Corona ist noch immer allgegenwärtig und war selbstverständlich auch in Schottland ein Thema. Nachdem die junge Frau endlich ihre ersehnte Wohlfühlatmosphäre in Schottland gefunden hatte, brachte Corona auch schon die nächsten Hürden ins Spiel. Welche dies waren und wie die inzwischen 20-Jährige mit ihnen umgegangen ist, verrät Teil zwei der Schottland-Serie über die junge Uslarerin.

*Name geändert

Jugendhilfe und der Übergang in die Eigenständigkeit

Verselbständigung als letztendliches Ziel der Jugendhilfe: „Erfolgreich ist Jugendhilfe dann, wenn die jungen Menschen in ein eigenständiges und eigenverantwortliches Leben entlassen werden“ vertieft Sabine Böker, Leiterin des Albert-Schweitzer-Jugendwohnen in Uslar. Sie selbst hat im Laufe ihrer Berufstätigkeit schon zahlreichen jungen Menschen in die Eigenständigkeit verholfen – mal mit mehr, mal mit weniger Hürden. Ein einfacher Weg ist das jedoch nie, betont die Sozialpädagogin.
Was brauchen junge Menschen, um das Ziel der Eigenständigkeit zu erreichen, ist die Frage, die zunächst im Raum steht. Das Beispiel von Mona zeigt, dass Jugendhilfekindern alle Möglichkeiten offenstehen. Es gibt ein Recht auf Bildung, es gibt Organisationen, die Jugendhilfekindern und Ehemaligen eine Chance bieten. „Careleaver Weltweit“ gehört beispielsweise dazu. Das grundlegend Wichtigste dabei ist: Jugendhilfekinder brauchen die gleichen Bedingungen wie alle Kinder und Jugendlichen. Sie sollten immer die Möglichkeit haben, den für sie höchstmöglichen Bildungsabschluss zu erreichen. Sie brauchen Zeit, eventuelle Defizite aufzuarbeiten und sie brauchen auch Zeit, bei Bedarf einen „Umweg“ zu gehen und erst im zweiten Anlauf ihre Ziele zu verwirklichen. Sie müssen sich selbstwirksam erleben und lernen, die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.
Doch all dies wird nur mit einer Grundvoraussetzung möglich: Zeit. Die Jugendhilfekinder brauchen Zeit über die Volljährigkeit hinaus und sie brauchen weiterhin verlässliche Bindungen und Rahmenbedingungen, um sich zu entwickeln.
Die Neufassung des SGBVIII ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mit einem Anspruch auf Jugendhilfeleistungen bis zum 21. Lebensjahr, mit dem Recht auf Nachbetreuung nach Beendigung der Maßnahme und mit einem Recht auf Rückkehr, wenn der Weg in die Selbständigkeit beim ersten Versuch vielleicht scheitert.